Mitarbeiter des Technologietransferzentrums ANAXAM und Forschende des Paul Scherrer Instituts PSI nutzten die einzigartigen Analysemethoden am PSI, um damit das Innere von Fertigspritzen sichtbar zu machen. Ihre Erkenntnis: In seltenen Fällen kann Zink aus dem Nadelschutz in die Injektionslösung gelangen und möglicherweise zur Verstopfung der Spritze beitragen.
Eine Nadel im Heuhaufen zu suchen ist vergleichbar mit der Aufgabe, die Mitarbeiter des Technologietransferzentrums ANAXAM gemeinsam mit Kollegen am Paul Scherrer Institut PSI kürzlich angegangen sind. Im Auftrag des Pharmaunternehmens MSD (ein Handelsname von Merck & Co., Inc., Rahway, N.J., USA) sollten sie herausfinden, ob winzige Mengen des Elements Zink in die Kanülen von Fertigspritzen gelangen können, und wenn ja, wo es sich in den Kanülen befindet.
Der Hintergrund: Die Injektionsnadeln von vorgefüllten Fertigspritzen können in seltenen Fällen verstopfen, etwa wenn die Spritzen nicht kühl genug gelagert werden. Dieses Phänomen ist zwar seit Längerem bekannt und wurde von ANAXAM bereits untersucht. Was genau die Verstopfung auslöst, war aber bislang immer noch nicht gänzlich geklärt. Eine Vermutung lautete, dass Zink aus dem Nadelschutz – der Gummikappe, in welche die Nadel bei der Herstellung gesteckt wird – in die Injektionslösung durchsickern und diese zähflüssiger machen könne, was letztlich zur Verstopfung führe.
Um diesem Verdacht nachzugehen, hat das Team unter der Leitung von ANAXAM nun aufwendige Nachweisverfahren eingesetzt. Damit konnten sie sowohl das Innere der verstopften Kanülen sichtbar machen als auch prüfen, ob und wo sich darin Zink befindet. Die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal Pharmaceutical Research veröffentlicht.
Praktische Fertigspritzen
Fertigspritzen sind weit verbreitet, praktisch und einfach zu handhaben, sowohl für medizinisches Fachpersonal als auch für Patientinnen und Patienten. Durch die genau abgemessene Menge der Injektionslösung sind zum Beispiel Fehler in der Dosierung praktisch ausgeschlossen. Dass Nadelspitzen vor allem bei der Verwendung von hoch konzentrierten Injektionslösungen verstopfen können, ist ein in der Pharmabranche allgemein bekanntes Problem und kam auch in Zulassungsverfahren zur Sprache. Zudem gab es Fälle von verstopften Nadeln, die zu Produktrückrufen führten. «Entsprechend gross war das Interesse seitens Merck herauszufinden, ob tatsächlich Zink in die Nadelspitzen gelangen und so die Verstopfung auslösen kann», sagt Vlad Novak, Projektleiter bei ANAXAM.
Es galt also, gleich mehrere Fragen zu beantworten: Befindet sich Zink in der Nadelspitze und falls ja, woher kommt es? Wie sieht es in einer verstopften Nadel aus? Und ist das Zink auch in der Injektionslösung enthalten, was letztlich zur Verstopfung führen kann?
Dem Zink auf der Spur
Mithilfe von Massenspektroskopie im eigenen Hause konnte MSD die erste Frage beantworten: Ja, die getrocknete Injektionslösung in der Kanüle enthielt Zink, und es musste aus dem Nadelschutz stammen. Dies konnte daraus geschlossen werden, dass in einem Kontrollexperiment, in dem der Nadelschutz weggelassen wurde, kein Zink nachgewiesen werden konnte. Für diese Untersuchungen musste MSD allerdings zunächst das Material aus der Nadel herauslösen und dann in das Massenspektrometer einspeisen. Wo genau sich das Zink in der Verstopfung befunden hatte, konnten die Forschenden von MSD deshalb nicht feststellen. Dazu benötigten sie Analysemethoden, die über den konventionellen Labormassstab hinausgehen. Diese fanden sie bei ANAXAM.
Als Technologietransferzentrum stellt ANAXAM seinen Kunden einzigartige bildgebende und spektroskopische Methoden zur Verfügung, die mit den Grossforschungsanlagen am PSI realisiert werden können. «Es ist die Stärke des PSI, dass wir hier mehrere hochkomplexe Instrumente an einem Ort betreiben, die wir miteinander kombinieren und unter der Federführung von ANAXAM der Industrie zugänglich machen können», sagt Margie Olbinado. Die PSI-Physikerin verwendete die Synchrotronstrahlung der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS, um damit die Nadeln zu durchleuchten und die Verstopfung sichtbar zu machen.
Dafür nutzte Olbinado die TOMCAT-Strahllinie in der SLS. Mit diesem Instrument lassen sich Computertomogramme erstellen. Das funktioniert ähnlich wie die Computertomografie im Krankenhaus, nur eben mit Synchrotronstrahlung, also speziellen Röntgenstrahlen, die teils kohärent sind und daher miteinander interferieren können. Diese Eigenschaft erlaubt es den Forschenden, kleinste Materialmengen selbst in einer hauchdünnen Hohlnadel aus Edelstahl sichtbar zu machen – ihr Innendurchmesser beträgt weniger als 200 Mikrometer. Das Ergebnis in diesem Fall: Ein klares Bild der ausgetrockneten Injektionslösung in der verstopften Nadelspitze.
Fingerabdruck in der Röntgenstrahlung
Für die letzte Frage – ist tatsächlich Zink in den verstopften Nadeln? – kam schliesslich ein unter dem Kürzel SR-XRF (für Synchrotron-based X-Ray fluorescence) bekanntes Instrument zum Einsatz, für das Dario Ferreira Sanchez am PSI verantwortlich war. «Mit diesem Instrument können wir den charakteristischen «Fingerabdruck» bestimmter chemischer Elemente mit hoher räumlicher Auflösung in der Kanüle sichtbar machen», sagt Ferreira Sanchez.
Dazu benutzt Sanchez Röntgenstrahlung einer ganz bestimmten Wellenlänge, die ein inneres Elektron aus dem Atom herauslöst. In Atomen sind die Elektronen in einer Reihe von Schalen angeordnet, wobei die Elektronen in den inneren Schalen am stärksten an den Kern gebunden sind. Mit hochenergetischen Röntgenstrahlen kann ein solches Elektron dennoch aus dem Atom gerissen werden. Im Anschluss nimmt dann ein Elektron aus einer höheren Schale seinen Platz ein, wobei wiederum Röntgenstrahlung ausgesendet wird. Diese Strahlung konnte Ferreira Sanchez messen und daraus berechnen, von welchem Element sie stammte.
Der Röntgen-Fingerabdruck verriet, dass tatsächlich Zink in der verstopfenden Injektionslösung war. Zusammengenommen konnte das ANAXAM-Team schlussfolgern, dass Zink aus dem Nadelschutz in die Injektionslösung durchsickert, wenn die Spritze bei einer Temperatur von 40 Grad gelagert wird. Zink kann die Gelbildung von Proteinen sowie eine Zunahme der Viskosität der Injektionslösung fördern – beides Faktoren, die zur Verstopfung der Spritze beitragen können. Bei regulärer Lagerung (5 Grad) konnte kein Zink nachgewiesen werden.
Die Ergebnisse dieser kniffligen Detektivarbeit helfen dem Pharmaunternehmen MSD, die komplexen Ursachen für das Verstopfen von Fertigspritzen besser zu verstehen und damit auch besser vorbeugen zu können. Dadurch werden die bereits sehr sicheren und zuverlässigen Spritzen in Zukunft noch sicherer.
Kontakt
Originalveröffentlichung
Investigating Zinc Migration from Rigid Needle Shield to Drug Formulation in Needle Tip of Pre‑filled Syringe
G. Hu, C. Li,·K. Wang, Y. Su, W. Forrest, J. Givand, D.F. Sanchez, M. Olbinado, M. Wagner, C. Grünzweig, V. Novak
Pharmaceutical Research, 29.07.2025 (online)
DOI: 10.1007/s11095-025-03888-2
Weitere Artikel zum Thema
Über das PSI
Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Zukunftstechnologien, Energie und Klima, Health Innovation und Grundlagen der Natur. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 2300 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 460 Mio. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und WSL. (Stand 06/2024)