Der Herr des Fliessens

Schon als Student begeisterte sich Athanasios Mokos für die Dynamik von Flüssigkeiten. Heute modelliert er am Paul Scherrer Institut PSI komplexe Vorgänge wie die Bildung von Ablagerungen an Reaktorbrennstäben. 

Athanasios Mokos mit seiner Trophäe, die er für seinen erstplatzierten Vortrag bei der Konferenz «Discrete Simulation of Fluid Dynamics (DSFD)» in Zürich erhalten hat. Die Büste zeigt den berühmten österreichischen Physiker Ludwig Boltzmann, auf dessen bahnbrechenden Arbeiten auf dem Gebiet der statistischen Physik Mokos’ komplexe Computersimulationen basieren. © Paul Scherrer Institut PSI/Mahir Dzambegovic

Athanasios Mokos hat in seinem Forscherleben schon die verschiedensten Phänomene untersucht, die auf die eine oder andere Weise mit Flüssigkeiten zu tun haben: Wie die Brandung eine Küste formt, was in feuchtem Beton vor sich geht, oder – aktuell – wie sich Mineralablagerungen auf den Brennstäben eines Kernreaktors bilden. Für all das musste der 37-jährige Grieche allerdings weder ans Meer reisen, noch eine Baustelle oder gar ein Kernkraftwerk betreten. Er brauchte nur seinen scharfen mathematischen Verstand und einen leistungsstarken Computer: Mokos ist Modellierer am Labor für Endlagersicherheit, das zum Center for Nuclear Engineering and Sciences des PSI gehört. 

Seine Leidenschaft für die Simulation von Flüssigkeiten und allem, was mit ihnen zusammenhängt, begann bereits während seines Ingenieursstudiums in Athen. Dafür musste er nach der Matura eine schwierige Aufnahmeprüfung absolvieren: «Schon seit meiner Schulzeit interessiere ich mich für Mathematik und Physik», erinnert sich Mokos. «Und zum Glück hatte ich tolle Lehrer, die alles sehr interessant machten.» Im Studium faszinierte ihn dann vor allem die Fluiddynamik – also die Lehre von strömenden Flüssigkeiten und Gasen – und die Möglichkeit, mithilfe ausgeklügelter mathematischer Modelle sehr komplexe Vorgänge zu simulieren. 

In seinem letzten Projekt wollte Mokos herausfinden, wie die porösen Ablagerungen auf den Brennstäben eines Kernreaktors den Wärmeaustausch zwischen Brennstab und Wasser beeinflussen können. «Das ist in etwa so wie bei einem Wasserkocher – mit der Zeit sammelt sich Kalkstein an, und dann wird der Kocher zum Beispiel lauter, wenn das Wasser brodelt», sagt Mokos. In einem Kernkraftwerk sind die Auswirkungen natürlich weitreichender; so können sich Ablagerungen etwa empfindlich auf den Effizienzgrad des Kraftwerks auswirken. 

Komplexe Simulationen mit dem Supercomputer

Seit vielen Jahren entwickeln die Forschenden im Labor für Endlagersicherheit und im Labor für Simulationen und Modellierungen numerische Methoden für Modelle von Strömungen in Kernreaktoren. Hier kommen Mokos’ Simulationen ins Spiel. «Um das komplexe Zusammenwirken des heissen Wassers im Reaktor, der Brennstäbe und der Gasbläschen in den porösen Ablagerungen mathematisch zu beschreiben, benutze ich die Lattice-Boltzmann-Methode», erklärt Mokos. Erste Erfahrungen mit dieser Methode konnte er durch intensive Zusammenarbeit mit dem Gruppenleiter Nikolaos Prasianakis sammeln, der seit mehr als fünfzehn Jahren die Entwicklung von Lattice-Boltzmann-Software leitet. 

Bei dieser Methode wird die zu simulierende Flüssigkeit in kleine Einheiten unterteilt und stochastisch, also zufallsabhängig, modelliert, ob benachbarte Einheiten zusammenstossen und ob sich in einer Einheit durch kochendes Wasser Blasen bilden. Wegen der hohen räumlichen Auflösung von wenigen Mikrometern, die es dafür braucht, ist das auf einem normalen PC nicht zu schaffen: «Alleine der für die Simulation benötigte Speicherplatz entspricht etwa dem von 40 Grafikkarten oder GPUs», sagt Mokos. Als einer der ersten hatte er vor vielen Jahren, für seine Dissertation in England, die damals gerade aufkommenden leistungsstarken GPUs (Graphic Processing Units) zur Beschleunigung seiner Simulationen von Multiphasen-Fluiddynamik verwendet. Für das Reaktor-Projekt dagegen standen ihm nun 100 000 Rechenstunden auf dem Supercomputer Piz Daint des Swiss National Supercomputing Center CSCS zur Verfügung. Auf diesem liefen seine Simulationen etwa 20 000 Mal schneller als auf einem normalen PC. 

Die Visualisierung von Mokos’ Simulationen zeigt, wie sich in den porösen Ablagerungen auf den Brennstäben eines Kernreaktors Blasen bilden. Die grobkörnige Grafik, die ein wenig an das Spiel Minecraft erinnert, täuscht: Ihre Auflösung beträgt nur wenige Mikrometer. © Paul Scherrer Institut PSI/Athanasios Mokos

An seine Doktorandenzeit in Manchester denkt Mokos gerne zurück: «Durch die drei Universitäten dort ist alles sehr international, es gibt jede Menge kulturelle Angebote, und man trifft viele Leute.» Nach vier Doktoranden- und drei Postdoc-Jahren brauchte er dann allerdings doch einen Tapetenwechsel. In Paris ergab sich 2018 die Gelegenheit, mit Forschenden des Hydrauliklabors Saint-Venant zusammenzuarbeiten, deren Forschungen er von gemeinsamen Konferenzbesuchen kannte und sehr schätzte. Dort entwickelte er Simulationen von Überschwemmungen in Grossanlagen – wie etwa Kernkraftwerken. 

Für die Computermodelle dazu benutzte Mokos eine etwas andere Methode, die „Smooth Particle Hydrodynamics“ (SPH), die sich besser für die Simulation von komplexen Oberflächen eignet. Nach drei intensiven Forschungsjahren stellte der Geldgeber Électricité de France (EDF) allerdings die Förderung von Projekten, die auf dieser Methode basierten, kurzfristig ein. Damit war auch Mokos‘ Arbeit in Paris beendet. Auf der Suche nach einer neuen Stelle bewarb er sich 2021 unter anderem am PSI. «Ich war damals noch nie in der Schweiz gewesen», sagt er, «aber mein Doktorvater in Manchester hatte ein Jahr als Postdoc dort verbracht und mir das PSI als exzellentes Forschungszentrum empfohlen.»

Preisgekrönter Vortrag

Mokos bekam die Stelle und wunderte sich bei seiner Ankunft in Villigen erst einmal, dass man dort kein Französisch spricht: «Ich wusste, dass am Genfer See Französisch gesprochen wird und dachte, das sei in der ganzen Schweiz so.» Natürlich konnte er sich im Labor problemlos auf Englisch verständigen, und auch sein Deutsch sei mittlerweile ganz passabel, sagt er. Am PSI gefallen ihm die gute Atmosphäre und der rege geistige Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, der häufig während der Kaffeepausen stattfindet. Auch das Leben in der Schweiz behagt ihm: «Die Städte – selbst die grossen – sind hier viel kleiner als Manchester, Paris oder gar Athen, dadurch ist man näher an der Natur.» Da er kein Auto fährt, schätzt er die guten Bahnverbindungen, die er häufig nutzt, um Wanderungen zu unternehmen. Seinen bislang anspruchsvollsten Ausflug machte er letztes Jahr mit Freunden auf den Monte Rosa. «Da mussten wir sogar einen Gletscher überqueren», sagt Mokos. 

Seine griechischen Wurzeln pflegt Mokos auch in der Ferne. In Zürich gebe es eine recht grosse griechische Gemeinde, für die er seit einiger Zeit auch als Kassenwart arbeitet: «Letztens haben wir ein grosses Event mit 400 Personen zu Tsiknopempti organisiert, dem Grillfest am vorletzten Donnerstag vor der Fastenzeit.» 

Für seinen Vortrag über die Arbeit am PSI über Wärmetransport in Siedewasserreaktoren hat Mokos gerade die Goldmedaille der Konferenz «Discrete Simulation of Fluid Dynamics (DSFD)» in Zürich erhalten. Das Thema beschäftigt ihn auch weiterhin: Derzeit arbeitet er an einem grossskaligen Modell des gesamten Reaktors, wozu er neuronale Netzwerke in die Simulationen integriert. Die Genauigkeit der Simulationen will er dann an Labormodellen überprüfen, die in anderen Forschungseinrichtungen gebaut werden.  

Mokos kann sich durchaus vorstellen, weiterhin auf diesem Gebiet zu forschen. Gut möglich also, dass er sich noch einige Zeit mit Reaktorsimulationen beschäftigt. Vielleicht wendet er sich mit seinen vielseitigen Computermodellen aber auch nochmal völlig anderen Flüssigkeitsphänomenen zu. 

Pore-scale nucleate boiling simulations using a 3D multiphase LB approach 
A. Mokos, S.V. Churakov, N.I. Prasianakis
Präsentationsvideo auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=eUEjSciZVqQ

Surface controlled mechanism of water boiling for nuclear reactor fuel assembly 
A. Mokos, R.A. Patel, K. Karalis, S.V. Churakov, N.I. Prasianakis 
International Journal of Heat and Mass Transfer, Volume 230, 2024, 125747, ISSN 0017-9310
DOI: 10.1016/j.ijheatmasstransfer.2024.125747