Die Atmosphärenwissenschaftlerin Julia Schmale startet gemeinsam mit mehr als fünfzig weiteren Forschenden auf eine dreimonatige Schiffsexpedition rund um die Antarktis. Dort werden sie und ihr kleines Team vom Paul Scherrer Institut Luftproben nehmen und Daten sammeln, um künftig den Klimaeinfluss von menschengemachten von natürlichen Feinstaubpartikeln besser unterscheiden zu können.
Julia Schmale sitzt aufrecht auf ihrem Bürostuhl am PSI und blickt an die Wand: Dort hängt ein A3-Blatt, das die Antarktis zeigt und darum eine rote gewundene Linie. Über der Stuhllehne der jungen Forscherin hängt eine eisblaue Funktionsjacke, an den Füssen trägt sie grau-lila Turnschuhe. Sie sieht aus, als wäre sie auf dem Sprung zum Sport oder in ein Abenteuer.
Das Blatt an der Wand verheisst ein solches Abenteuer. Die rote Linie erklärend sagt Schmale: Am 20. Dezember 2016 gehen wir in Kapstadt an Bord und legen erst drei Monate später wieder dort an.
Dazwischen fahren Schmale, mehr als fünfzig weitere Forschende und dazu ähnlich viele Crewmitglieder auf dem russischen Forschungsschiff Akademik Tryoshnikov
um die Antarktis. Sie werden in Australien anlanden und in Chile, ausserdem auf etlichen Inseln und auf dem antarktischen Kontinent. Kurz: Es geht einmal um den Südpol, im Uhrzeigersinn.
Das wird keine Kreuzfahrt oder gar Fotosafari: Es wird die Antarktische Umrundungsexpedition (Antarctic Circumnavigation Expedition, ACE), die das gerade erst gegründete Schweizer Polarforschungsinstitut organisiert. Gletscherkundler unter den Expeditionsmitgliedern werden Proben mit Eisbohrungen nehmen, Biologen die Mikroorganismen der Antarktis untersuchen, Klimaforschende werden Daten zu lokalen Wetterbedingungen und deren Auswirkungen auf das weltweite Klima sammeln. Das ist sehr interdisziplinär angelegt; ich freue mich auf diese Horizonterweiterung
, sagt Schmale.
Auch wenn es für Schmale die bisher längste Forschungsreise wird – ihre erste ist es nicht: Sie war schon in Grönland unterwegs und in Kirgisistan, in Puerto Rico und Nepal und auf der abgelegenen Insel Bird Island in der Subantarktis. Bei Bird Island werden wir auch mit der jetzigen Expedition vorbeikommen – ein kleines Wiedersehen, auf das ich mich schon freue.
Luftverschmutzung und Klimawandel
Schmale ist Atmosphärenforscherin am PSI. Studiert hat sie Umweltingenieurwesen und schon damals faszinierten sie vor allem die Kurse zu Luftchemie. Fast alles, was Menschen tun, führt auch zum Ausstoss von Luftschadstoffen
, erzählt sie. Wenn wir mit dem Auto zum Einkaufen fahren, wenn wir kochen und heizen, wenn unser Müll abtransportiert wird und natürlich wenn wir in den Urlaub fliegen: All das entlässt Gase und kleinste Feinstaub-Partikel in die Luft.» Die moderne Filtertechnik kann nur einen Teil davon auffangen. Das hat Konsequenzen. «Forschende haben gezeigt, dass Luftverschmutzung weltweit die Todesursache Nummer eins unter den Umweltgefahren ist, vor Malaria und unzureichender Hygiene. Millionen von Menschen sterben frühzeitig wegen Luftverschmutzung
, sagt Schmale deutlich.
Für die optimistische Forscherin zeigt diese grosse Zahl aber auch ein grosses Potenzial: Da liesse sich unglaublich viel machen – eine Verbesserung der Luftqualität kann auch die Lebensqualität enorm vieler Menschen deutlich heben.
Luftverschmutzung und Feinstaub tragen zudem zur Veränderung des Klimas bei. Julia Schmale erforscht dabei insbesondere, wie Feinstaub mit Wolken wechselwirkt. Wolken spielen eine grosse Rolle im Klimahaushalt der Erde. Doch wie genau menschengemachter Feinstaub die Eigenschaften der Wolken verändert, ist noch nicht genau genug geklärt.
Auf der Suche nach vorindustrieller Luft
Um den Einfluss des menschengemachten Feinstaubs beziffern zu können, brauchen die Forschenden auch Referenzwerte – also Messungen in sauberer Luft. Allerdings: Wind und Luftumwälzungen bringen menschengemachten Feinstaub überall hin. Es gibt auf unserem ganzen Planeten keinen Fleck mehr, an dem wirklich vorindustrielle Zustände herrschen
, sagt Schmale, und man merkt ihr an, wie sehr sie sich das Gegenteil wünschen würde. Doch die Feinstaubforschenden haben Glück im Unglück: Feinstaubpartikel fallen nach einer gewissen Zeit aus der Atmosphäre aus. In der abgelegenen Antarktis lassen sich daher Luftproben nehmen, die der vorindustriellen Luft sehr ähnlich sind.
Auf diese Art wollen Schmale und ihr Team herausfinden, wie die Luft in vorindustrieller Zeit zusammengesetzt war. In Verbindung mit Satellitendaten und Rechenmodellen werden die Forschenden so eine Datengrundlage schaffen, um die menschengemachte Veränderung der Luft und des Klimas besser bestimmen zu können. Damit wollen sie einen konkreten Beitrag für den nächsten Weltklimabericht liefern.
Ob sie keine Sorge hat vor einem Lagerkoller während der langen Expedition? Es wird sicherlich nicht einfach, der Bewegungsradius auf dem Schiff ist natürlich gering und es wird nur wenig Abwechslung geben
, gesteht Schmale. Die junge Forscherin, die gerne mit dem Rennrad über Alpenpässe fährt und Marathon läuft, wird auf dem Schiff weniger Bewegungsfreiheit haben, als ihr lieb ist.
Statt Velo und Turnschuhen kommen darum Bücher in ihr persönliches Gepäck. Ich möchte endlich über die Antarktis-Expeditionen von Shackleton, Scott und Amundsen lesen
, sagt Schmale. Und ausserdem bin ich mir sicher, dass wir moderne Expeditionsteilnehmer uns untereinander einige Geschichten und Abenteuer zu erzählen haben werden.
Kontakt
Weitere Informationen
Projekt-Blog: Die Forscherin Julia Schmale berichtet in ihrem Blog direkt von der Antarktischen Umrundungsexpedition in englischer Sprache. https://www.psi.ch/lac/ace-space-blog