An SwissFEL und SLS Biomoleküle entschlüsseln
Proteine sind ein begehrtes, aber widerspenstiges Forschungsobjekt. Eine für Freie-Elektronen-Röntgenlaser wie dem zukünftigen SwissFEL des PSI entwickelte Methode soll ihre Erforschung nun ein grosses Stück vorantreiben. Dabei werden viele identische, kleine Proteinproben in kurzen Abständen hintereinander mit einem Röntgenstrahl durchleuchtet. Damit wird ein bisheriges Hauptproblem der Erforschung von Proteinen umgangen: Proben in ausreichender Grösse herzustellen.
Ohne Proteine läuft in unserem Körper gar nichts. Als vielfältige Wandlungskünstler sitzen sie in jeder Zelle und steuern unsere Körperfunktionen. Ein Beispiel von vielen sind sogenannte Chemokin-Rezeptoren in unserem Immunsystem. Sie sorgen dafür, dass unsere Abwehrzellen dorthin wandern, wo sie ungeliebte Eindringlinge wie Viren oder Bakterien am effektivsten bekämpfen können.
Insbesondere für die Medikamentenentwicklung sind Proteine aufgrund ihrer Schlüssel-Funktionen ein begehrtes Forschungsobjekt. Doch bleibt ihre Erforschung mühsam. Eine der Schlüsselmethoden biologischer Forschung ist Biomoleküle zu kristallisieren, mittels Röntgenlicht zu durchleuchten und aus dem dabei abgelenkten Licht auf die Struktur der Moleküle zurückzurechnen. Auch an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS des PSI werden mit dieser Methode seit vielen Jahren tiefe Einblicke in die Struktur von Biomolekülen gewonnen.
Erst durch die Kristallisation werden die Moleküle abbildbar. Doch so leicht wie die Kristalle des Meersalzes, die von alleine überbleiben, wenn das Meerwasser verdunstet ist, machen es die fragilen und bedeutend komplexeren Proteine den Forschenden nicht: Bei manchen Proteinen dauert eine effiziente Kristallisation mehrere Jahre, bei anderen wie den Chemokin-Rezeptoren können wir die für die Experimente erforderliche Grösse der Kristalle nicht erreichen
, sagt Jörg Standfuss, der am PSI auf die Erforschung dieser widerspenstigen Zeitgenossen spezialisiert ist.
Stückweise zur Molekül-Struktur
Der zurzeit vielversprechendste Ausweg aus dieser Misere heisst serielle Kristallografie. Statt wie bisher einzelne grosse Kristalle zu rotieren, um sie so von möglichst vielen verschiedenen Seiten zu durchleuchten und abzubilden, injiziert man Tausende kleine, identische Kristalle hintereinander (daher die Bezeichnung seriell
) in den Röntgenstrahl. Die beim Zusammentreffen zwischen Strahl und den einzelnen Kristallen abgelenkten Lichtstrahlen werden aufgezeichnet und diese Aufzeichnungen zusammengefügt. Mit einer ausreichend grossen Anzahl von Kristallen ergibt sich ein genaues Strukturabbild des Proteins.
Bei der seriellen Kristallografie werden Kristalle in einen Röntgenstrahl injiziert. Beim Zusammentreffen zwischen Strahl und Kristall werden Lichtstrahlen abgelenkt. Die abgelenkten Lichtstrahlen werden von einem Detektor aufgezeichnet. Aus den Lichtmustern, die viele gleiche Kristalle auf dem Detektor erzeugen, lässt sich der Aufbau der Kristalle bestimmen.
Entwickelt wurde diese Methode für den Einsatz an Freie-Elektronen-Röntgenlasern wie dem SwissFEL, der gerade am PSI gebaut wird. Die grosse Strahlungsintensität der Röntgenlaser zerstört jeden Kristall innerhalb kürzester Zeit, sodass ein Rotationsexperiment nicht möglich wäre. Dem Messergebnis tut dies keinen Abbruch, im Gegenteil: Der Strahlbeschuss ist so kurz gepulst, dass die abgelenkten Lichtstrahlen der noch völlig unbeschädigten Kristalle erfasst werden können. Zudem funktioniert die Methode bei Raumtemperatur, das heisst die Moleküle müssen nicht – wie sonst üblich – auf unter minus 173 Grad Celsius abgekühlt werden.
Mit der seriellen Kristallografie werden wir Proteine in ihrer natürlichen Form untersuchen können
, freut sich Standfuss. Noch einen Schritt weiter hofft der Biologe Proteine, die je nach Funktion ihre Form gezielt verändern, endlich einmal in Aktion zu erleben: Das können wir erreichen, indem wir bei einer Reihe von identischen Kristallen gleichzeitig eine Reaktion anregen und die Kristalle zeitversetzt in den Röntgenstrahl injizieren.
Die Forscher erhalten so jeweils eine Abbildung der Struktur zu einem bestimmten Zeitpunkt der Reaktion und können diese zu einem Film zusammensetzen.
Am SwissFEL wird die serielle Kristallografie ab Inbetriebnahme zur Verfügung stehen. 100 Röntgenpulse wird der Freie-Elektronen-Röntgenlaser pro Sekunde abfeuern. Eine der Herausforderungen ist, die Kristalle so zu injizieren, dass sie punktgenau mit den Pulsen zusammentreffen
, sagt Christopher Milne, der am SwissFEL jene Experimentierstation entwickelt, die die serielle Kristallografie anbieten wird. Kleinere Kristalle sind zwar in der Regel leichter herzustellen, trotzdem ist bei vielen Proteinen ihre mögliche Anzahl begrenzt. Kein Kristall sollte ins Leere injiziert werden und für das Experiment verlorengehen.
Die Synergie im Blick
Die Forschungs- und Entwicklungsarbeit läuft auf Hochtouren und sie beschränkt sich nicht nur auf den SwissFEL. Die Methoden, welche für die Probeninjektion an Freie-Elektronen-Röntgenlasern entwickelt wurden, dürften auch die Möglichkeiten erweitern, Proteine an Synchrotron-Lichtquellen zu untersuchen
, betont Standfuss. Das ist wichtig, weil selbst mit dem SwissFEL die Zahl der Experimentierplätze an Freie-Elektronen-Röntgen-Lasern stark limitiert sein wird, so dass man sich da auf Experimente beschränken wird, die an anderen Anlagen absolut nicht möglich sind.
Erste Studien zeigen das grosse Potenzial serieller Kristallografie an Synchrotron-Lichtquellen
, so Meitian Wang, der an der SLS für jene Strahllinie verantwortlich ist, an der künftig derartige Experimente stattfinden sollen. Nun geht es am PSI darum, die Methode an konkreten Beispielen weiterzuentwickeln. Eines davon ist einer der eingangs erwähnten Chemokin-Rezeptoren - ein Protein, das eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung von Entzündungsprozessen im Körper spielt. Und es ist eines jener Proteine, die bisher nicht effizient kristallisiert werden konnten.
Das Feld ist im Umbruch und es entwickelt sich rasend schnell. Milne ist aber davon überzeugt, dass ein wenig Ruhe einkehren wird, wenn der SwissFEL einmal in Betrieb ist: Der durchschnittliche Biologe will messen und sich nicht dauernd mit einer neuen Methode herumschlagen. Er will einfach nur das bestmögliche Resultat und wir werden dafür sorgen, dass er es bekommt.
Text: Paul Scherrer Institut/Martina Gröschl