Hochauflösendes Verfahren zur Nano-Computertomographie entwickelt
Ein neuartiges Nano-Tomographie-Verfahren, das von einem Team aus Forschern der Technischen Universität München TUM, des Paul Scherrer Instituts PSI und der ETH Zürich entwickelt wurde, erlaubt erstmals computertomographische Untersuchungen feinster Strukturen mit einer Auflösung im Nanometerbereich. Mit Hilfe der neuen Methode können etwa dreidimensionale Innenansichten fragiler Knochenstrukturen erstellt werden. Die ersten mit diesem Verfahren erzielten Nano-CT-Bilder wurden am 23. September 2010 in der renommierten Fachzeitschrift Nature veröffentlicht. Die neue Technik kann Lebens- und Materialwissenschaften gleichermassen voranbringen.
Osteoporose, auch Knochenschwund genannt, ist eine der häufigsten Erkrankungen des alternden Knochens: Nach Angaben der Stiftung Osteoporose Schweiz werden jede zweite Frau und jeder vierte Mann über 50 Jahren in ihrem Lebensverlauf einen durch Osteoporose bedingten Knochenbruch erleiden. Bei den Patienten schrumpft die Knochensubstanz übermässig rasch, damit steigt das Risiko für Brüche deutlich. In der klinischen Forschung wird Osteoporose bisher fast ausschliesslich über die Messung einer allgemein verringerten Knochendichte bestimmt. Diese sagt jedoch wenig über die damit verbundenen und ebenso wichtigen lokalen Struktur-und Knochendichte-Änderungen aus. Franz Pfeiffer, TUM-Professor für Biomedizinische Physik und Leiter des Forscherteams, hat das Dilemma gelöst: Mit unserem neu entwickelten Nano-CT-Verfahren ist es jetzt möglich, die Struktur-und Dichte-Änderungen des Knochens hochaufgelöst und in 3D darzustellen. Damit kann man die der Osteoporose zugrunde liegenden Strukturänderungen auf der Nanoskala erforschen und bessere Therapieansätze entwickeln.
Pfeiffers Team hat bei der Entwicklung auf der Röntgen-Computertomographie (CT) aufgebaut. Ihr Prinzip ist seit langem bekannt – CT-Geräte werden im Krankenhaus und in der Arztpraxis tagtäglich zur diagnostischen Durchleuchtung des menschlichen Körpers verwendet. Hierbei wird der Körper mit Röntgenstrahlen durchleuchtet. Ein Detektor misst dabei unter verschiedenen Winkeln, wie viel Röntgenstrahlung jeweils absorbiert wird. Im Prinzip werden einfach Röntgenbilder aus verschiedenen Richtungen aufgenommen. Aus einer Vielzahl solcher Aufnahmen können dann mittels Bildverarbeitung digitale 3D-Bilder des Körperinneren erzeugt werden.
Die neu entwickelte Methode misst nun für jeden Beleuchtungswinkel nicht nur die gesamte vom untersuchten Objekt absorbierte Intensität, sondern auch die Teile des Röntgenstrahls, die in verschiedene Richtungen abgelenkt – in Physikersprache gestreut
– werden. Diese erzeugen für jeden Punkt ein Streubild, das zusätzliche Informationen über die genaue Nanostruktur liefert, da die Röntgenstreuung gerade auf allerkleinste Strukturänderungen sensitiv ist. Da wir dabei sehr viele Einzelbilder extrem präzise aufnehmen und verarbeiten müssen, war bei der Implementierung des neuen Verfahrens die Verwendung hochbrillanter Röntgenstrahlung und schneller, rauscharmer Pixel-Detektoren besonders wichtig – beides steht an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz (SLS) zur Verfügung
, so Oliver Bunk, der an der vom schweizerischen PSI betriebenen Synchrotronlichtquelle den entsprechenden Experimentierplatz mit aufgebaut hat.
Die Streubilder werden anschliessend mit einem Algorithmus verarbeitet, der von dem Team entwickelt wurde. TUM-Forscher Martin Dierolf, Erstautor des Nature-Artikels, erklärt: Wir haben einen Bildrekonstruktionsalgorithmus entwickelt, der aus den über hunderttausend Streubildern ein hochaufgelöstes dreidimensionales Bild der Probe errechnet. Dabei berücksichtigt der Algorithmus nicht nur die klassische Röntgenabsorption, sondern die wesentlich sensitivere Beeinflussung der Phase der Röntgenwellen.
Exemplarisch wurde mit der neuen Technik die mit 25 Mikrometern härchenfeine Knochenprobe einer Labormaus untersucht – mit überraschend exakten Ergebnissen. Die so genannten Phasenkontrast-CT-Aufnahmen stellen selbst kleinste Dichteunterschiede in der Knochenprobe extrem genau dar: Querschnitte durch Hohlräume, in denen Knochenzellen eingebettet sind, und deren rund 100 Nanometer feines Verbindungsnetzwerk sind gut erkennbar.
Das neue Nano-CT-Verfahren erreicht zwar nicht die Ortsauflösung, die derzeit in der Elektronenmikroskopie möglich ist, kann aber – aufgrund des hohen Durchdringungsvermögens von Röntgenstrahlung – dreidimensionale Tomographiebilder von Knochenproben liefern
kommentiert Roger Wepf, Leiter des Elektronenmikroskopiezentrums (EMEZ) an der ETH Zürich. Darüber hinaus zeichnet sich das neue Nano-CT-Verfahren durch seine hohe Genauigkeit in der Knochendichtebestimmung aus, welche gerade für die Knochenforschung von entscheidender Bedeutung ist.
Mithilfe des Verfahrens wird man insbesondere die Frühphase der Osteoporose-Erkrankung genauer studieren sowie Behandlungserfolge verschiedener Therapien in klinischen Studien evaluieren können.
Aber die neue Technik ist auch ausserhalb der Medizin sehr nützlich: Weitere Anwendungsfelder liegen in der Entwicklung neuer Werkstoffe in den Materialwissenschaften oder in der Charakterisierung von Halbleiterbauelementen. Schliesslich lässt sich das Nano-CT-Verfahren auch auf neuartige, laser-basierte Röntgenquellen übertragen, so wie sie derzeit im Rahmen des Exzellenzclusters Munich-Centre for Advanced Photonics
(MAP) und am neu bewilligten Grossforschungsprojekt Centre for Advanced Laser Applications
(CALA) auf dem TUM-Campus Garching bei München entwickelt werden.
Über das PSI
Das Paul Scherrer Institut entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Festkörperforschung und Materialwissenschaften, Elementarteilchenphysik, Biologie und Medizin, Energie- und Umweltforschung. Mit 1400 Mitarbeitenden und einem Jahresbudget von rund 300 Mio. CHF ist es das grösste Forschungsinstitut der Schweiz.
Über die ETH Zürich
Die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich) steht für exzellente Lehre, wegweisende Grundlagenforschung und die Anwendung der Ergebnisse zum Nutzen der Gesellschaft. 1855 gegründet, zählt die ETH Zürich heute über 15.000 Studierende aus rund 80 Ländern, davon 3.400 Doktorierende. Als eine der weltweit führenden technisch-naturwissenschaftlichen Hochschulen, bietet sie Forschenden ein inspirierendes Umfeld und ihren Studierenden eine umfassende Ausbildung. 21 Nobelpreisträger, die an der ETH Zürich studiert, gelehrt oder geforscht haben, unterstreichen den hervorragenden Ruf der Hochschule.
Über die TUM
Die Technische Universität München (TUM) ist mit rund 420 Professorinnen und Professoren, 7.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (einschliesslich Klinikum rechts der Isar) und 24.000 Studierenden eine der führenden technischen Universitäten Europas. Ihre Schwerpunktfelder sind die Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften, Lebenswissenschaften, Medizin und Wirtschaftswissenschaften. Nach zahlreichen Auszeichnungen wurde sie 2006 vom Wissenschaftsrat und der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Exzellenzuniversität gewählt. Das weltweite Netzwerk der TUM umfasst auch eine Dependance in Singapur. Die TUM ist dem Leitbild einer unternehmerischen Universität verpflichtet.
Kontakt / Ansprechpartner
Prof. Dr. Franz Pfeiffer, Lehrstuhl für Biomedizinische Physik, Technische Universität MünchenJames-Franck-Strasse 1, 85748 Garching, Deutschland
Tel.: +49 89 289 12551, Fax: +49 89 289 12548
E-Mail: nelly.de.leiris@mytum.de
Internet: http://www.physik.tu-muenchen.de/lehrstuehle/E17/
Dr. Oliver Bunk, Labor für Makromoleküle und Bioimaging,
Paul Scherrer Institut, 5232 Villigen PSI, Schweiz Tel.: +41 56 310 3077
E-Mail: oliver.bunk@psi.ch
Internet: www.psi.ch
Dr. Roger Albert Wepf, EMEZ – Electronen Microscopy, ETH Zürich
Wolfgang-Pauli-Str. 16, 8093 Zürich, Schweiz
Tel: +41 44 633 45 58
E-Mail: roger.wepf@emez.ethz.ch
Internet: www.ethz.ch
Originalveröffentlichung
Ptychographic X-Ray Computed Tomography at the Nano-ScaleMartin Dierolf, Andreas Menzel, Pierre Thibault, Philipp Schneider, Cameron M. Kewish, Roger Wepf, Oliver Bunk, Franz Pfeiffer:
Nature, 23. September 2010
DOI: 10.1038/nature09419
Animation
http://users.physik.tu-muenchen.de/gu45ten/franz_pfeiffer/bone_nanoCT.movDie Animation zeigt die erste Nano-CT Aufnahme einer Knochenprobe mit einem Durchmesser von ca. 25 Mikrometer. Deutlich zu sehen sind die feinen, ca. 100 Nanometer grossen Verästelungen (Kanalikuli), die das Verbindungsnetzwerk zwischen den Knochenzellen (Osteocyten) bilden.