Wasserstoff: ein trojanisches Pferd im Brennstab-Hüllrohr

In Kernreaktoren wird an den heissen Brennelementen Wasser aufgespalten, wobei Wasserstoff entsteht. Der Wasserstoff kann in das Hüllrohr, das den eigentlichen Brennstoff umgibt, eindringen und dieses mechanisch schwächen. Forschende des Paul Scherrer Instituts PSI untersuchen mit Hilfe von Neutronen und Synchrotronstrahlung, wie der Wasserstoff ins Hüllrohr kommt, und welche Wirkung er darin entfalten kann.

Johannes Bertsch in der Synchrotronlichtquelle Schweiz (SLS), wo Teile der Forschungsarbeiten über die Wasserstoffaufnahme in Hüllrohren durchgeführt werden. Foto: Paul Scherrer Institut/Mahir Dzambegovic.
Abbildung der Hydride im Hüllrohr. Die Hydride sind als dunkle dünne Striche auf dem hellen Hintergrund (Hüllrohrinnere) zu sehen. Die meisten Hydride sind längs des Umfangs des Hüllrohrs, einige aber auch quer dazu, also in radialer Richtung angeordnet. Bild: Paul Scherrer Institut.
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Die Brennstäbe in einem Kernreaktor besitzen ein Hüllrohr, das den nuklearen Brennstoff umgibt und somit die erste Barriere gegen das Austreten von Radioaktivität bildet. Das Hüllrohr besteht aus einer Zirkoniumlegierung, einem mechanisch belastbaren, korrosionsbeständigen Material, das erst bei sehr hohen Temperaturen schmilzt. Doch im Betrieb kann das Hüllrohr durch die Aufnahme von Wasserstoff mechanisch geschwächt werden, was seine Schutzfunktion beeinträchtigen würde. Forschende des Paul Scherrer Instituts PSI sind deshalb dem Mechanismus der Aufnahme von Wasserstoff und dessen Wirkung im Hüllrohr auf der Spur.

Schon seit Jahrzehnten werden Zirkoniumlegierungen als Hüllrohrmaterial zum Schutz des Brennstoffes in Kernreaktor-Brennstäben eingesetzt. Und von Anfang an wurde die Wasserstoff-Problematik erkannt. Deshalb gab es schon früh Überlegungen, wie man eine mögliche Schwächung des Hüllrohrs durch Wasserstoffaufnahme in den Griff bekommen kann. Dazu gehörten etwa Fertigungsverfahren, die durch gezielte Erzeugung von feinen Strukturen im Hüllrohr (Textur) die Verteilung und Ausrichtung des Wasserstoffs bzw. seiner chemischen Verbindungen, zu beeinflussen suchten. Es ist nämlich vorteilhaft, wenn die spröden Wasserstoffverbindungen entlang des Umfangs des Hüllrohrs statt in radialer Richtung verteilt sind, denn so wird ein Versagen unter Druck weniger wahrscheinlich.

Wie der Wasserstoff ins Hüllrohr kommt

Die Brennstäbe in einem Reaktor befinden sich als Brennelemente gebündelt in Wasser. Das Wasser hat mehrere Funktionen: Es dient als Moderator zum Abbremsen der Neutronen auf die für eine Kernspaltung nötige Geschwindigkeit und als Trägermedium für die bei der Kernspaltung freigesetzte Energie, welche am Ende in Strom umgewandelt wird. Ausserdem fungiert das Wasser als Kühlmittel für die Brennelemente. Bei den hohen Temperaturen und Drücken, die im Reaktor herrschen, kommt es an der Aussenseite der Brennstäbe zur Aufspaltung des Wassers in Wasserstoff und Sauerstoff. Der Sauerstoff oxidiert die Aussenwand, während der Wasserstoff zum Teil durch diese dünne Oxidschicht hindurch und ins Hüllrohrinnere wandern kann. Dabei nehmen nicht alle Zirkoniumlegierungen gleich viel Wasserstoff auf. Die in Siedewasserreaktoren (z.B. Leibstadt und Mühleberg) verwendete Legierung Zircaloy-2 ist empfänglicher als die bei Druckwasserreaktoren(z.B. Beznau und Gösgen) übliche Legierung Zircaloy-4. Es scheint, dass Ausscheidungen von Nickel, die in Zircaloy-2, aber nicht in Zircaloy-4 vorkommen, die Wasserstoffaufnahme begünstigen. PSI-Forscher sind dabei, diese Hypothese mit Hilfe von Synchrotronstrahlung aus der Synchrotronlichtquelle Schweiz (SLS) zu überprüfen. Sie wenden dazu erstmals Röntgen-Techniken auf bestrahlte Hüllrohre an, mit dem Ziel die Kristallstruktur und chemische Umgebung der Nickel-Ausscheidungen an der Grenzschicht zwischen Metall und Oxidschicht aufzuklären.

Was der Wasserstoff im Hüllrohr anrichtet

Der Anteil des Wasserstoffes an der Gesamtmasse des Hüllrohrs ist gering: er liegt im Bereich von bis zu wenigen Hunderten Millionsteln (ein typischer Wert ist z.B. um die 100 mg Wasserstoff pro Kilogramm Legierung). Dennoch kann der Wasserstoff die mechanische Stabilität des Hüllrohrs deutlich verschlechtern. Zum einen macht der gelöste, also nicht mit dem Legierungsmaterial chemisch verbundene Wasserstoff, das Hüllrohrmaterial anfälliger für plastische Verformungen bei hohen Temperaturen. Erreicht der Wasserstoff im Hüllrohr eine zu hohe Konzentration, dann kann er nicht mehr in gelöster Form bleiben und scheidet sich aus in Form von Hydriden, Verbindungen von Wasserstoff mit den Metallen der Legierung. Bei 300 Grad Celsius, einer typischen Betriebstemperatur im Kernreaktor, scheidet sich der Wasserstoff ab einer Konzentration um die 120 Millionstel aus. Bei Zimmertemperatur hingegen liegt der gesamte Wasserstoffgehalt in Form von Hydriden vor.

Hydride machen das Hüllrohr spröder. Bestehende Risse können zudem durch das Versagen der brüchigen Hydride verlängert werden. Diese Vorgänge finden nicht nur während des Reaktorbetriebs statt, sondern auch nach der Entladung der abgebrannten Brennelemente, in der Phase der Zwischenlagerung bis zum Transport ins Tiefenlager. So wichtig ist die Wasserstoffproblematik für die nukleare Sicherheit, dass die amerikanische Aufsichtsbehörde bereits darüber nachdenkt, den Wasserstoffgehalt zu einem der Hauptkriterien für die Festlegung der zulässigen Betriebsdauer von Brennelementen zu machen.

Wasserstoffverteilung mit Neutronen sichtbar machen

Forscher wollen deshalb unter anderem verstehen, wie der Wasserstoff, einmal ins Hüllrohr eingedrungen, sich in diesem verteilt. Das ist wichtig, weil die Verteilung und Ausrichtung von gelöstem Wasserstoff und Hydriden das Ausmass des potenziellen mechanischen Schadens mitbestimmen. Man hat bisher in Tests beobachtet, dass der Wasserstoff dazu neigt, an die Spitze bestehender Risse im Hüllrohr zu diffundieren, wo er meistens schnell Hydride bildet. Doch es gibt dafür noch keine schlüssige Erklärung. Die Fachleute vermuten, die Diffusion folge einem Gefälle der lokalen Wasserstoffkonzentration bedingt durch dessen Ausscheidung (der Wasserstoff würde demnach von Bereichen hoher Konzentration an solche mit niedriger Konzentration wandern). Andere hingegen glauben, die treibende Kraft hinter der Diffusion sei in Spannungsunterunterschieden im zu suchen. Demgemäss würde der Wasserstoff von Stellen mit niedriger lokaler Spannung an solche mit hoher Spannung diffundieren.

Mit Messungen an der Neutronenquelle SINQ des PSI haben Forschende aus dem Team um Johannes Bertsch vom Labor für Nukleare Materialien Hinweise dafür gefunden, dass es Spannungsunterschiede sind, die die Diffusion von Wasserstoff steuern. Die Forscher nutzten den Umstand, dass Wasserstoff im Gegensatz zu Zirkonium sehr stark Neutronen streut. Indem man Hüllrohrmaterial mit Neutronen bestrahlte, konnte man also die Diffusion von Wasserstoff in-situ abbilden. „Es ist das erste Mal, dass jemand die Neutronenradiografie in einer Hüllrohr-Legierung unter mechanischer Spannung durchführt“, erklärt Bertsch. „Nur so konnten wir den Zusammenhang von Spannungsgefälle und Wasserstoffdiffusion zeigen. Der nächste Schritt wird sein, diesen Zusammenhang zu quantifizieren, d.h. herauszufinden, wie die Diffusionsgeschwindigkeit genau vom Ausmass des Spannungsgradienten abhängt.“

Text: Paul Scherrer Institut/Leonid Leiva

Weiterführende Informationen
Labor für Nukleare Materialien
Kontakt / Ansprechpartner
Dr. Johannes Bertsch, Labor für Nukleare Materialien, Paul Scherrer Institut,
Telefon: +41 56 310 41 73, E-Mail: johannes.bertsch@psi.ch