Wie sauber ist Wasserstoff für die Energiewende?

Forschende der Universität Leiden und des Paul Scherrer Instituts haben in einer gemeinsamen Studie künftige Umweltauswirkungen der heutigen Wasserstoffproduktion berechnet und dabei bis ins Jahr 2050 geschaut. Erstmals wurden dabei neun verschiedene Produktionsverfahren in einer Studie berücksichtig und global hochgerechnet. Die Bilanz: Wasserstoff ja, aber bitte nur grün.

Romain Sacchi und seine Kollegen an der Universität Leiden haben erstmals neun verschiedene Produktionsprozesse von Wasserstoff im Hinblick auf deren Lebenszyklusemissionen unter die Lupe genommen und global hochgerechnet. © Paul Scherrer Institut/Markus Fischer

Wasserstoff ist nicht gleich Wasserstoff. Es gibt ihn in vielen Farben – von schwarz bis grün. Dabei handelt es sich jedoch nicht um seine stoffliche Couleur, sondern um eine Nomenklatur, die seine Herkunft zu erkennen gibt (siehe grauen Kasten unten). Sprechen wir von grünem Wasserstoff, so meinen wir damit beispielsweise, dass er über die sogenannte Wasserelektrolyse mittels neuer erneuerbarer Energien und Wasser hergestellt wurde. Schwarz nennen wir ihn, wenn er unter Einsatz von Steinkohle erzeugt wird.

Wasserstoff wird heutzutage hauptsächlich für chemische Umwandlungsprozesse benötigt, wie beispielsweise das durch das Haber-Bosch-Verfahren erzeugte Ammoniak, das als Düngerbestandteil genutzt wird. In industriellen Prozessen kommt Wasserstoff als Schutzgas zum Einsatz und wird beispielsweise in der Metall- und Glasherstellung benötigt. Auch die Stahlindustrie ist auf grosse Mengen dieses leichten Gases angewiesen. Und via Brennstoffzellen lässt sich Wasserstoff direkt in Strom umwandeln, was sich insbesondere in Fahrzeugen nutzen lässt.

Der Wasserstoffverbrauch nimmt zu…

«Da Wasserstoff fast keine direkten Emissionen freisetzt, kann er für den Übergang zu einem Netto-Null-Energiesystem von entscheidender Bedeutung sein», erklärt Romain Sacchi, Wissenschaftler am Labor für Energiesystemanalysen am PSI. «Insbesondere der Verkehrssektor sowie die Schwerindustrie könnten stark davon profitieren.» 

Der Haken: Die heutige Produktion selbst setzt eine Menge Kohlendioxid (CO2) frei – im Durchschnitt rund vierzehn Kilogramm pro Kilogramm Wasserstoff. Erdgas ist derzeit der effizienteste und wichtigste Rohstoff für Wasserstoff. Dieser wird als grauer Wasserstoff bezeichnet. Kohlenstoffarme Herstellungsverfahren machen gerade mal weniger als ein Prozent des Weltmarktes aus. Und die Nachfrage wächst. «Wir gehen davon aus, dass die Wasserstoffproduktion bis 2050 um einen Faktor vier bis acht zunehmen wird», erklärt Sacchi.

Um ein vollständiges Bild zu erhalten, haben Romain Sacchi und seine Kollegen der Universität Leiden in einer gemeinsamen Studie die Umweltauswirkungen der weltweiten Wasserstoffproduktion berechnet und mögliche Zukunftsszenarien untersucht. Dabei haben sie erstmals den gesamten Lebenszyklus von neun verschiedenen Produktionsprozessen unter die Lupe genommen und diese in einer Studie berücksichtigt. Über ihre Ergebnisse berichten sie in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals Energy & Environmental Science.

… und damit steigen auch die CO2-Emissionen in der Produktion

Drei verschiedene Szenarien der Internationalen Energieagentur haben die Forschenden untersucht. Ihr Ergebnis: Zwischen 2020 und 2050 könnten die kumulierten Treibhausgasemissionen durch die Wasserstoffproduktion 39 bis 47 Gigatonnen CO2-Äquivalente betragen. Letztere Zahl bezieht sich auf das Netto-Null-Szenario, das ehrgeizigste Ziel mit Netto-Null-Emissionen bis 2050. «In diesem Fall könnte die Wasserstoffproduktion bis 2050 bis zu zwölf Prozent des verbleibenden Kohlenstoffbudgets emittieren, das uns noch zur Verfügung steht, um eine Erwärmung der Erde um mehr als 1,5 Grad Celsius zu verhindern», so Bernhard Steubing, ausserordentlicher Professor am Leidener Institut für Umweltwissenschaften.

«Das mag überraschend klingen», meint Sacchi. Trotz des Einsatzes kohlenstoffarmer Technologien sind die zu produzierenden Mengen im Netto-Null-Szenario deutlich höher als bei weniger ehrgeizigen Szenarien mit grauem Wasserstoff. «Die dadurch verursachten Emissionen mögen zwar hoch erscheinen, aber durch den Einsatz von Wasserstoff werden fossile Brennstoffe ersetzt, deren Nutzung das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels verunmöglichen würde.»

Dies liegt einerseits daran, dass bei der Herstellung und Nutzung von Wasserstoff weniger Treibhausgase freigesetzt werden als bei der Förderung und Verbrennung fossiler Brennstoffe. Zum anderen wird ein Teil des erzeugten Wasserstoffs über Brennstoffzellen in Elektromotoren genutzt, welche deutlich effizienter sind als herkömmliche Verbrennungsmotoren.

Grüner Wasserstoff versus blauer Wasserstoff

Die scheinbar naheliegendste Lösung wäre nun also, den gesamten Wasserstoffverbrauch mit grünem Wasserstoff zu decken. «Da müssen wir aufpassen», entgegnet Sacchi. «Wenn wir erneuerbare Energien blindlings in Wasserstoff umwandeln, könnten diese für jene Anwendungen fehlen, die sich direkt elektrifizieren lassen.» Bei der Wasserelektrolyse können nämlich nur etwa 50 Prozent der eingesetzten Energie in Wasserstoff umgewandelt werden. «Deshalb ist es sinnvoller, den Strom, wo immer möglich, direkt zu verwenden oder ihn in Batterien zu speichern.»

Eine ausschliesslich grüne Wasserstoffproduktion wäre daher nur mit einem massiven Ausbau an neuen erneuerbaren Energien zielführend. «Und wie sich zeigt, ist ein solcher Ausbau wiederum mit Wasser-, Metall- und Landverbrauch verbunden – da gilt es abzuwägen», fügt Sacchi an.

Die Autoren folgen auch den Szenarien der Internationalen Energieagentur, die davon ausgehen, dass blauer Wasserstoff in grossem Umfang eingesetzt wird. Bei der Herstellung von blauem Wasserstoff wird Erdgas für die sogenannte Methan-Dampfreformierung verwendet. Das dabei entstehende COwird abgeschieden und gespeichert. Shijie Wie, Doktorand am Institut für Umweltwissenschaften der Universität Leiden und Hauptautor der Studie findet die Strategie riskant: «Mit dieser Technologie halten wir an den fossilen Brennstoffen fest.» Die Abscheidung von CO2 ist sehr teuer und mit technischen Herausforderungen verbunden. «Wir gehen davon aus, dass die Wasserstoffproduktion bis 2050 immer noch zu jährlichen Kohlenstoffemissionen von bis zu einer Gigatonne CO2 führen würde.»

Die perfekte Lösung gibt es nicht. Grüner Wasserstoff ist sinnvoll – aber nur mit dem nötigen Ausbau von neuen erneuerbaren Energien. Die Studie von Romain Sacchi und seinen Kollegen kann helfen, die Umweltauswirkungen verschiedener Wasserstofftechnologien besser zu verstehen, um so einen angemessenen Fahrplan für die angestrebte Energiewende zu entwickeln.


Text: Paul Scherrer Institut/Benjamin A. Senn basierend auf einer Medienmitteilung der Universität Leiden

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Nomenklatur des Wasserstoffs

Je nachdem wie Wasserstoff hergestellt wird, erhält er in der Energiebranche verschiedene Namen. Hier die gängige «Farbenlehre»:

  • Grüner Wasserstoff: hergestellt mit Strom aus neuen erneuerbaren Energien
  • Türkiser Wasserstoff: hergestellt durch sogenannte Methanpyrolyse. Hierbei wird Erdgas thermisch in Wasserstoff und festen Kohlenstoff gespalten.
  • Oranger/gelber Wasserstoff: hergestellt aus organischen Stoffen wie Biomasse, Biogas und Biomethan
  • Violetter/roter Wasserstoff: hergestellt mit Strom aus Kernenergie
  • Blauer Wasserstoff: hergestellt aus Erdgas unter Abscheidung und geologischer Speicherung des Kohlendioxids
  • Weisser Wasserstoff: natürlich vorkommender Wasserstoff
  • Grauer Wasserstoff: hergestellt aus Erdgas (oft werden unter „grau“ auch alle fossilen Energieträger zusammengefasst)
  • Brauner Wasserstoff: via Braunkohlevergasung
  • Schwarzer Wasserstoff: via Steinkohlevergasung

Kontakt

Dr. Romain Sacchi
Labor für Energiesystemanalysen
Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 
5232 Villigen PSI, Schweiz
+41 56 310 57 64
romain.sacchi@psi.ch [Englisch, Französisch]


Originalveröffentlichung

Future environmental impacts of global hydrogen production
Shijie Wei, Romain Sacchi, Arnold Tukker, Sangwon Suh and Bernhard Steubing, 
Energy & Environmental Science, 22.02.2024
DOI: 10.1039/D3EE03875K 

Über das PSI

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