Dank der Analyse von Proteinproben am PSI konnten Lausanner Forscher zeigen, mit welchem Instrument Bakterien Krankheiten übertragen
Forscher der ETH Lausanne EPFL haben mit bisher ungekannter Genauigkeit beschrieben, wie ein bestimmter Typ von Bakterien bei der Übertragung von Krankheiten vorgeht. Die Wissenschaftler um Petr Leiman, Assistenzprofessor am Labor für Strukturbiologie und Biophysik der EPFL, konnten zeigen, dass die Spitze des von den Bakterien benutzten Ansteckungswerkzeugs aus einem PAAR-Protein besteht, das ein Metallatom umgibt und spitz zuläuft. Grundlage der Erkenntnisse bilden Messungen an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS, einer der drei Grossforschungsanlagen des Paul Scherrer Instituts PSI.
Wissenschaftler wissen oft nicht nur, wie Viren oder Bakterien Krankheiten übertragen. Sie verstehen auch immer genauer, auf welchem Weg die Erreger den Schaden anrichten, wenn beispielsweise ein Bakterium wie Vibrio cholerae eine menschliche Zelle attackiert und dort die gefürchtete Cholera hervorruft. Heute ist es möglich, diesen Ansteckungsprozess mit einer faszinierenden Präzision zu verstehen und dabei auf der Ebene einzelner Moleküle nachzuvollziehen, wie die Krankheit auf den Menschen übertragen wird.
Infektionswerkzeug identifiziert
Genau dies ist einem Forscherteam um Petr Leiman, Assistenzprofessor an der EPFL, gelungen. Die Wissenschaftler haben in einer „Nature“-Publikation beschrieben, dass eine bestimmte Klasse von Proteinen – die PAAR-Proteine – bei der Ansteckung durch Cholera- und vergleichbare Bakterien eine zentrale Rolle spielen. Die Forscher konzentrierten sich bei ihren Untersuchungen auf Bakterien, die für den Infektionsvorgang ein bestimmtes Werkzeug mit den Namen T6SS (type VI secretion system) nutzen. Dieses Werkzeug, über das ungefähr 25 % aller Bakterien verfügen, kann man sich vereinfacht vorstellen als eine feine Röhre, die in das Bakterium eingelassen ist. In der Röhre steckt eine Nadel. Zieht sich die Röhre durch Kontraktion zusammen, schiesst die Nadel heraus und dringt mit ihrer Spitze in eine menschliche Zelle ein – und schon ist die Ansteckung mit dem bakteriellen Erreger vollzogen.
Eine zentrale Rolle bei der Infektion spielt die Spitze der Nadel. Die EPFL-Forscher konnten erstmals zeigen, woraus diese Spitze besteht: aus einem PAAR-Protein, das zu einem spitz zulaufenden Kegel gefaltet ist. PAAR-Proteine sind charakterisiert durch eine spezielle Abfolge der Aminosäuren, aus denen sie aufgebaut sind. In den Proteinen kommt mehrfach die Aminosäuren-Sequenz Prolin-Alanin-Alanin-Arginin – abgekürzt PAAR – vor. Damit haben die Lausanner Forscher in bisher unerreichter Genauigkeit verstanden, wie die Ansteckungswerkzeuge von Bakterien chemisch beschaffen sind. „Das ermöglicht ein besseres Verständnis, wie bakterielle Ansteckungen vor sich gehen. Es eröffnet aber mittelfristig auch neue Anknüpfungspunkte, um Krankheitserreger unschädlich zu machen“, sagt Petr Leiman.
Nachweis an der SLS in Villigen
Der Nachweis der PAAR-Proteine in bakteriellen Erregern gelang Leiman an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS, einer Grossforschungsanlage am Paul Scherrer Institut PSI. Dort untersuchte der aus Russland stammende und in den USA weitergebildete Forscher rund 50 Materialproben. Jede dieser Proben enthielt ein Protein, das die Spitze der oben erwähnten Infektionsnadel bildet (PAAR-Protein), zudem ein angrenzendes Proteinfragment namens VgrG. Mithilfe der SLS konnte der 37-jährige Forscher Protein wie Proteinfragment identifizieren und eruieren, aus welchen Aminosäuren beide bestehen. Ferner konnte er die rund 3000 Atome ausfindig machen, aus denen der ganze Komplex aufgebaut ist. Leiman gelang dabei auch der Nachweis, dass das Protein, das die Nadelspitze bildet, einen metallischen Kern umschliesst, der entweder aus einem Eisen- oder einem Zink-Atom besteht.
Die SLS stellt Forschern eine Plattform zur Untersuchung von Materialproben in kleinsten Dimensionen bis hin zu einer Auflösung von einzelnen Atomen zur Verfügung. Die Anlage erzeugt einen sehr stark gebündelten Strahl aus Röntgenlicht. Dieser gerade einmal 50 Mikrometer (Tausendstelmillimeter) dicke Strahl wird auf eine Materialprobe gelenkt und erstellt dabei ein Abbild dieser Materialprobe. Das hierzu verwendete Verfahren heisst Röntgenkristallografie. Um eine solche 'Fotografie' erstellen zu können, muss die Materialprobe nämlich in einen Kristall eingebunden sein, das heisst ein Verbund einer grossen Anzahl von Molekülen ist in einem Kristallgitter regelmässig angeordnet. Im Fall von Petr Leiman bestand der Kristall aus PAAR-Proteinen und VgrG-Proteinfragmenten. Trifft der Röntgenstrahl auf den Kristall, wird dieser am Kristallgitter gebeugt. Aus dem Beugungsmuster lässt sich über mehrere Zwischenschritte und mit einer aufwändigen Datenanalyse die Struktur der untersuchten Proteine mit hoher Genauigkeit bestimmen.
Grosse Nachfrage nach PSI-Forschungsanlagen
Petr Leiman ist einer von 5782 externen Nutzern der Grossforschungsanlagen, die 2012 das Paul Scherrer Institut PSI zu Forschungszwecken besuchten. Rund zwei Drittel von ihnen (3825) arbeiteten wie Leiman an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS, verteilt auf insgesamt 1187 Experimente. Einer grossen Nachfrage erfreuten sich auch die beiden anderen Grossforschungsanlagen des PSI. An der Schweizer Spallations-Neutronenquelle SINQ führten 1001 Gastwissenschaftler insgesamt 474 Experimente durch, an der Schweizer Myonen Quelle SμS waren es 359 auswärtige Forscher mit 214 Experimenten.
An den drei Grossforschungsanlagen des PSI arbeiten Nutzer und Nutzerinnen aus allen Kontinenten. Sie betreiben hier Grundlagenforschung oder sie untersuchen die Grundlagen für spätere Anwendungen, beispielsweise in der Pharmaindustrie, in der Mikroelektronik oder in der Automobilindustrie. Die Forschenden, die an einer PSI-Einrichtung experimentieren dürfen, werden von einer international zusammengesetzten Jury auf der Basis der Qualität ihrer Forschungsanträge ausgewählt. Die Nachfrage nach Experimentierzeit an der SLS ist sehr gross; sie übersteigt – je nach Experimentierstation – die verfügbare Zeit um das Doppelte. Um der hohen Nachfrage möglichst gerecht zu werden, arbeitet die Anlage im Dreischichtbetrieb rund um die Uhr, und das sieben Tage pro Woche. Während eines achtstündigen Besuchs können Wissenschaftler rund 100 Messungen von einem oder mehreren Kristallen vornehmen.
Neue Strategien zur Datenaufbereitung
Ein Team von PSI-Experten – darunter Mathematiker, Physikerinnen, Biologen, Chemikerinnen und Ingenieure – sorgt für eine hohe Verfügbarkeit der Forschungsanlagen. „Wir stellen die optimale Qualität des Röntgenstrahls sicher, kalibrieren die Instrumente und unterhalten die Anlage“, sagt Dr. Vincent Olieric. Der 34-jährige Biochemiker französischer Herkunft arbeitet seit sieben Jahren an der SLS. Forschende, die im Umgang mit der Anlage noch wenig Erfahrung haben, unterstützt er auch direkt bei der Durchführung der Experimente, hilft beispielsweise bei der Präparierung der Proben, die äusserste Präzision erfordert. Darüber hinaus nimmt das PSI-Supportteam auch wissenschaftliche Aufgaben wahr, indem es beispielsweise neue Strategien zur Aufbereitung der Messdaten erprobt und damit die Nutzung der Forschungsanlagen weiter optimiert.
Petr Leiman sucht die SLS rund einmal pro Monat auf, um verschiedene Forschungsprojekte voranzutreiben. „Die SLS ist eine der besten Forschungseinrichtungen der Welt. Der Röntgenstrahl ist erstklassig, und das PSI ist auch von Lausanne aus gut erreichbar“, sagt Leiman. In Zukunft kann sich der Lausanner Forscher den Weg nach Villigen wohl sogar sparen. Das PSI will die Nutzung der Experimentierplätze nämlich weiter vereinfachen: Die Nutzer könnten ihre Proben dann mit der Post ans PSI senden. Dort werden sie von den PSI-Mitarbeitern auf der Arbeitsplattform platziert. Die Nutzer können die Experimente dann mit Roboterunterstützung ferngesteuert durchführen. Die dabei gewonnenen Messdaten werten sie anschliessend am heimischen Computer aus.
Text: Benedikt Vogel
Originalveröffentlichung
PAAR-repeat proteins sharpen and diversify the type VI secretion system spikeMikhail M. Shneider, Sergey A. Buth, Brian T. Ho, Marek Basler, John J. Mekalanos & Petr G. Leiman
Nature 500, 350–353 (15 August 2013);
DOI: 10.1038/nature12453