Ein zuverlässiger Typ aus den 80ern

Ein Linearbeschleuniger im Retro-Look ist der Ursprung des Protonenstrahls am PSI. Benannt nach den Erfindern des Prinzips heisst der charismatische Typ Cockcroft-Walton. Er liefert seit 1984 die erste Beschleunigungsstufe für Protonen, die in der Folge von zwei weiteren Ringbeschleunigern auf schliesslich rund 80 Prozent der Lichtgeschwindigkeit gebracht werden. So entsteht hier seit Jahrzehnten ein beachtenswerter Protonenstrahl, der dank kontinuierlicher Nachrüstungen seit 1994 sogar den Weltrekord als leistungsstärkster Strahl hält.

Hoch und schlank und für seine 30 Jahre immer noch sehr glänzend bildet der Cockcroft-Walton den Anfang der Protonenanlage. (Foto: Paul Scherrer Institut/Markus Fischer)
Wie auf dem Rücken von Dinosauriern: Im Jahr 1973, kurz bevor die Protonenanlage in Betrieb ging, liess sich die Belegschaft am grossen Ringzyklotron fotografieren. (Foto: Paul Scherrer Institut)
Drei grossgewachsene Männer neben einem noch grösseren Magneten des grossen Ringbeschleunigers. In der Mitte steht Joachim Grillenberger, rechts von ihm sein Vorgänger Stefan Adam. Links im Bild eine der vier Kavitäten, die die Protonen auf ihrer Spiralbahn beschleunigen. (Foto: Scanderbeg Sauer Photography)
Joachim Grillenberger erdet den Cockcroft-Walton. (Foto: Paul Scherrer Institut)
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Ein lautes, schmerzhaft hohes Sirren liegt in der Luft. Joachim Grillenberger scheint das nichts auszumachen. Das sind die Molekularpumpen fürs Vakuum, erklärt er gelassen. Der grosse, beinahe schlaksige Physiker muss dieses Geräusch gewohnt sein. Vor zehn Jahren hat Grillenberger seine Forschung an Halbleitern an den Nagel gehängt. Seither ist er Sektionsleiter und Koordinator der Protonenanlage und führt regelmässig Schüler und andere Gruppen hier in den Vorraum des Cockcroft-Walton.

Der Cockcroft-Walton ist ein dreissig Jahre alter Linearbeschleuniger, und mit etwas Fantasie kann man auch ihn als schlaksig beschreiben. Er steht hinter einer Glaswand in einer eigenen Halle und schwingt sich in die Höhe wie eine Mischung aus Aussichtsturm und dem Requisit eines betagten Science-Fiction-Films: Silber glänzende, donutförmige Kondensatoren sind durch ein Zickzack aus orangenen, stabförmigen Dioden miteinander verbunden.

Diese Dioden bilden für die Ladungsansammlung eine Einbahnstrasse, die nur nach oben führt, erklärt Grillenberger. Jeder der orangenen Stäbe besteht im Inneren aus rund 200 Einzeldioden, die zusammengelötet sind. So entsteht eine Spannungskaskade: Von Kondensator zu Kondensator wird eine immer höhere Spannung angereichert, bis zur ganz oben prangenden, extrem positiv geladenen Kuppel. Oder, wie Grillenberger sagt: Die Spannung wird Stück für Stück nach oben geschoben.

Älter als das PSI

Die Konstruktion ist alt und solide, der Cockcroft-Walton ist ein extrem zuverlässiger Typ: Der hat fast schon was mechanisches, meint Grillenberger nachdenklich. Beispielsweise hat die Redundanz aus 200 Einzeldioden pro orangenem Stab zur Folge, dass schon mal die eine oder andere im Konglomerat ausfallen kann, ohne die Funktion des Stabes an sich zu beeinträchtigen. Daher musste in den letzten zehn Jahren nur ein Mal ein solcher Stab ausgetauscht werden und selbst hierfür hatten die Erbauer des Cockcroft-Walton vorausgedacht: Es wurden damals einige zusätzliche Stäbe angefertigt, von denen die meisten noch immer auf ihren Einsatz warten. Heute würde wohl niemand freiwillig 200 Dioden nur als Reserve zusammenlöten.

Im Jahr 1974 ging die Protonenanlage in Betrieb. Im Jahr 1984 und damit genau 10 Jahre später wurde sie um den Cockcroft-Walton erweitert. Und mit ihm ging die gesamte Protonenbeschleunigeranlage in Betrieb. Sie ist also älter als das PSI. Damals gehörte die Anlage noch dem Schweizerischen Institut für Nuklearphysik.

Ein Stau-Becken für Ladung

Nach diesem historischen Rückblick muss man nun doch den Kopf in den Nacken legen und die wuchtige, ebenfalls silberne Kuppel des Cockcroft-Walton betrachten. Sie ist das Staubecken für positive Ladung. 810 Kilovolt sind hier gespeichert. Und wie in jedem Staubecken wird auch diese Energie kontrolliert losgelassen.

Von der Kuppel führt eine Verbindung in den sogenannten Dom, der von aussen einfach ein grosser silberner Kasten ist. Dort drinnen sitzt in einem Würfel, der nicht grösser ist als ein Schuhkarton, die Quelle des Protonenstrahls: Ein kleiner Keramiktopf, ungefähr von der Form einer Espressotasse. Darin wiederum befindet sich Wasserstoffgas, das mit Mikrowellen bestrahlt wird. Die Mikrowellen schälen die Elektronen von den Wasserstoffatomen ab. Übrig bleiben Wasserstoff-Atomkerne, die jeweils nur aus einem Proton bestehen.

Und nun kommen die 810 Kilovolt des Cockcroft-Walton ins Spiel. Dieser elektrischen Spannung werden die Protonen ausgesetzt und so beschleunigt. Die Protonen kommen damit immerhin auf eine Geschwindigkeit von 46 Millionen Kilometer pro Stunde oder anders gesagt auf 4 Prozent der Lichtgeschwindigkeit.

Der erste Schubs

Doch der Cockcroft-Walton gibt den Protonen lediglich den ersten Schubs. Am Ende erreicht der Protonenstrahl des PSI 80 Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Zuständig hierfür sind zwei weitere Beschleuniger, die jeweils in eigenen Hallen stehen. Zunächst ein Ringbeschleuniger, der Injektor 2, der als Vorbeschleuniger fungiert und die Protonen mit insgesamt 72 Megavolt beschleunigt, und schliesslich das Herz der Anlage: das grosse Ringbeschleuniger, durch den die Protonen eine Spannung von insgesamt 590 Megavolt erfahren. Zuletzt sind die Protonen so schnell, dass sie in nur einer Sekunde sechs Mal um die gesamte Erde herumfliegen würden, so Grillenberger. Ein Protonenstrahl der Superlative.

Das war nicht immer so. In ihrem Anfangsjahr 1974 hatte die Beschleunigeranlage eine noch deutlich geringere Leistung. Vor allem die Anzahl der Protonen im Strahl wurde seither schrittweise immer weiter erhöht. Dadurch hat der grosse Protonenbeschleuniger heute eine Leistung, die 24 Mal so hoch ist wie bei der Inbetriebnahme. Bereits seit dem Jahr 1994 liefert die Anlage den weltweit leistungsstärksten Protonenstrahl mit sehr vielen, sehr schnellen Protonen. Durch weitere Nachrüstungen hat sie seither immer wieder den eigenen Weltrekord neu aufgestellt. Inzwischen beträgt die Leistung des Strahls 1,3 Megawatt, aber Grillenberger gibt sie gerne wie bei einem Auto an: Sie entspricht 1750 PS.

Die acht Magnete des grossen Protonenbeschleunigers aber gab es schon von Anfang an. Sie sind so riesig, dass sie neben Wissenschaftlern wie grosse, helltürkise Dinosaurier wirken. Mit jeweils rund 250 Tonnen wiegt jeder einzelne Magnet allerdings eher so viel wie 50 Stegosaurier zusammen. Tatsächlich lässt sich dieser Grössenvergleich nur auf Fotos betrachten: Bei laufendem Betrieb muss die Halle des grossen Ringbeschleunigers versiegelt bleiben, denn die schnellen Protonen lassen Atome, auf die sie treffen, radioaktiv werden.

Es schaukelt sich hoch

Zwischen den acht Dinosaurier-Magneten befinden sich vier sogenannte Kavitäten. Obwohl die Magnete für den Betrachter hervorstechen, dienen sie lediglich dazu, die schnellen Protonen auf ihrer Umlaufbahn zu halten. Diese verläuft in einem horizontalen Schlitz durch alle Magnete und Kavitäten hindurch. Und letztere machen die eigentliche Arbeit: Hier werden die Protonen beschleunigt. In jeder von ihnen und somit vier Mal pro Umlauf bekommt jedes Proton einen zusätzlichen Schubs. Dieser erfolgt per Wechselspannung und das bedeutet: Proton und Spannung müssen perfekt aufeinander abgestimmt sein. Es ist ähnlich wie bei einer Schaukel, bei der der nächste Schubs nur am Umkehrpunkt sinnvoll ist.

Nun werden jedoch im grossen Ringbeschleuniger die Protonen immer schneller, was den Schubs ausser Takt bringen könnte. Doch gerade hierfür ist die Lösung wieder so einfach, dass man auch sie als mechanisch bezeichnen könnte: Je schneller ein Proton im Kreis herumsaust, desto grösser ist die Fliehkraft, die es erfährt. Die Fliehkraft zieht das Teilchen in seiner Ringbahn etwas nach aussen. Damit hat es nun eine längere Strecke zurückzulegen, es befindet sich sozusagen auf der Aussenkurve. Dieses Prinzip geschieht kontinuierlich. Jedes Proton startet daher auf einem engen Kreis und vollführt dann in insgesamt 186 Windungen eine nach aussen grösser werdende Spiralbahn. So bleiben wegen der längeren Strecke die schnellen Protonen auf gleicher Höhe mit den langsameren – es müsste von oben so aussehen wie die Speichen eines Fahrrads – und alle Teilchen können gleichzeitig mit derselben Wechselspannung weiter und weiter beschleunigt werden.

Nur die Vorstufe – nur bei Beschwerden

Am Ende werden 99,99 Prozent der schnellsten Protonen – auch hinter dieser Zahl verbirgt sich jahrelange Optimierung – aus dem grossen Ringbeschleuniger extrahiert. Doch nicht nur die Geschwindigkeit und Anzahl der Protonen ist für die Forschung wichtig, auch die Qualität dieses Protonenstrahls ist entscheidend. Hierzu trägt fast jede Komponente in allen drei Beschleunigern ihren Teil bei. Sind diese nicht perfekt auf einander abgestimmt, ergibt sich ein Strahl, der eher an das diffuse Licht einer Glühbirne erinnert. Ein guter Strahl dagegen ist wie Laserlicht: kompakt und gerichtet, erklärt Grillenberger. Doch die Ironie ist: An den Protonen selbst ist man am PSI überhaupt nicht interessiert. Lange Zeit wurden sie noch medizinisch genutzt: Man hat im Rahmen der Protonentherapie tief liegende Tumoren damit behandelt. Doch für die Protonentherapie steht inzwischen ein eigener kleinerer Beschleuniger am PSI bereit. Heute sind die Protonen für die Forschenden nur eine Vorstufe. Die Protonen kollidieren mit sogenannten Targets, speziellen Werkstücken aus Blei oder Kohlenstoff, und schlagen dabei Neutronen heraus beziehungsweise erzeugen Myonen. Und nur die Neutronen und Myonen, diese Sekundärteilchen, werden für Experimente verwendet. Teils, um im Myonenzerfall die Teilchen selbst zu untersuchen, teils, um sie als winzige Sonden für hochkomplexe Formen der Mikroskopie zu nutzen. Dann werden beispielsweise Myonen eingesetzt, um die Eigenschaften neuartiger technologischer Materialien zu verstehen, oder es werden Neutronen verwendet, um prähistorische Kunstgegenstände zu durchleuchten. Rund eintausend Forschende kommen jedes Jahr ans PSI, um mit den Sekundärteilchen des Protonenstrahls zu experimentieren.

Auch Joachim Grillenbergers Arbeit kennt eine gewisse Ironie: Mit denen, für die er seine Arbeit macht, hat er erst dann zu tun, wenn an seinem Ende etwas schief läuft. Nur wenn der Strahl mal nicht so ist, wie er sein sollte, kommen die Forschenden zu mir. Und dann natürlich, um sich zu beschweren, erzählt er mit einem verständnisvollen Lächeln. Und Grillenberger scheint noch zuverlässiger zu sein als der Cockcroft-Walton. Denn so manches Mal haben sich aus dieser ungemütlichen ersten Begegnung ein nettes Gespräch und Ideen für gemeinsame Experimente ergeben. So schummelt sich Grillenberger hin und wieder in die Wissenschaft zurück. Es steckt wohl noch immer etwas Forscherblut in ihm.

Text: Laura Hennemann

Weiterführende Informationen

http://www.psi.ch/en/gfa/accelerators

Kontakt / Ansprechpartner

Dr. Joachim Kurt Grillenberger, Paul Scherrer Institut,
Telefon: +41 56 310 4623, E-Mail: joachim.grillenberger@psi.ch